„Ich hab da was geerbt, das könnte für dich interessant sein“, rief mich ein Verwandter vor Jahren an. Als wir uns trafen, drückte er mir ein dickes, Kilo schweres Bündel in die Hand. Tausende Blatt Papier, die an den Rändern oft schon etwas bröselten. „Alte Zeitungen, und du bist doch Journalist, kannst vielleicht was anfangen damit.“
Es waren Ausgaben der Berliner Illustrirten Zeitung, die ersten von 1911, die letzten von 1919. Warum sie aufgehoben wurden und auch in knappen Kriegszeiten nicht als Kohleanzünder endeten – keiner weiß es. Vielleicht, weil die BIZ einer der herausragenden Zeitungen ihrer Ära war, wie ich später las? Die erste richtige Illustrierte in Deutschland. Neu damals: Die vielen groß aufgemachten Fotos, dazu ein Mix aus paar aktuellen Nachrichten, dem Leserroman, etwas Kultur und Tratsch. Nicht zu schwer verdaulich, dennoch nicht belanglos, und immer auch patriotisch. Man hatte gern mal den Kaiser auf’m Titel. Zu Kriegszeiten wurden eigene Verluste meist verschwiegen, die der anderen dafür umso stärker herausgehoben.
Die Zweihundert-Jahrfeier des Zuchthauses Celle schaffte es am im März 1912 auf den Titel: „Ehemalige Strafgefangene, die zur Feier eintrafen, auf der Fahrt vom Bahnhof zum Festplatz.“ Offenbar hatten sie eine schöne Zeit …
„Die 70 Jahre alte, drei Zentner schwere Riesenschildkröte im neuen Berliner Aquarium“. Der Titel vom 12.10.1913. „No animals were harmed“ war damals noch nicht Standard.
1913 kämpften die Frauen in Großbritannien ums Wahlrecht. Die BIZ zeigt am 09.03. zwei inhaftierte Suffragetten.
Die erste Frau mit Diplomingenieur-Abschluss: Das war im August 1913 der Berliner Redaktion eine Titelseite wert.
Erkannt? Im Oktober 1911 war das Leipziger Völkerschlachtdenkmal noch in Arbeit und von Gerüsten umstellt.
Der Eisberg als Monster: Ende April 1912 ist der Titanic-Untergang DAS Thema auch in der deutschen Presse.
Im Januar 1912 wirbt die BIZ: „Auf zur Urne, auf zum Wählen! Michel ruft das Volk zur Pflicht.“ Viel moderner ist heutige Wahlwerbung oft auch nicht …
25 Jahre Regierungsjubiläum – der Kaiser im Juni 1913.
Der Krieg steht bevor: Am 12.07.1914 berichtet die „Berliner Illustrirte Zeitung“ über Proteste gegen Serben in Sarajevo nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand.
Ordentlich patriotisch: Der Weltkrieg hat begonnen, da müssen im August 1914 der Kaiser und der Generalstabschef von Moltke auf den Titel.
Zur patriotischen Erbauung: im gleichen Heft im Innenteil eine Heldengeschichte vom deutsch-französischen Krieg 1870/71.
In Berlin wird der Krieg ausgerufen: die BIZ macht eine Story mit vier aktuellen Fotos.
Eine Anzeige aus dem Juli 1914 …
Benz wirbt für seine Autos – mit einem kriegerischen Motiv.
Kosmetik, Kosmetik, und nochmal Kosmetik … Schon damals waren mpdebewußte Frauen die wohl am meisten umworbene Zielgruppe.
Macht doch Lust auf den Film, oder :-)?
Eine ganzseitige Werbeanzeige für Odol-Mundwasser 1913: Die Ausgaben der „Berliner Illustrirten Zeitung“ damals waren zu beträchtlichen Teilen auch mit Werbung gefüllt – mehr als viele Zeitungen heute.
Zwei deutsche Matrosen im Kriegsjahr 1916 auf dem BIZ-Titel.
Infografiken: Sowas gab es schon im November 1914.
„Kopfsprung in feldmarschmäßiger Ausrüstung aus 8 Metern Höhe“, bei einem „Wettschwimmen für Heeresangehörige der Mittelmächte“. Oh man …
Mitte Dezember 1918: Die Truppen kehren heim.
Januar 1919: Berlin wird von Unruhen und Generalstreiks erschüttert.
Die „Berliner Illustrirte Zeitung“ veröffentlicht Fotos von den Straßenkämpfen in Berlin im Januar 1919.
Zeitungsflugdienst zwischen Berlin und Weimar – im Februar 1919 gab es nix Schnelleres!
Was so auf dem Titel landete, ist interessant, manchmal belustigend, in Kriegszeiten oft zum Kopfschütteln. Dinge, die wir heute sicher nicht mehr sehen (wollen): Männer, die auf dem Rücken einer Schildkröte stehen. Zuchthäusler, die das Jubiläum ihres Gefängnisses feiern. Das Leipziger Völkerschlachtdenkmal im Rohbau. Schaut mal rein in die Galerie!
Die Blätter erzählen aus einer Zeit voller Umwälzungen: Das Medium Film war da, die ersten Autos, die ersten Flugzeuge. Für Journalisten so spannend wie die Zeit heute.